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Warum ein Pfarrer Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt

Politikredakteurin
Kirchenasyl als Christenpflicht: Pfarrer Gottfried Martens (r.) mit dem iranischen Flüchtling Reza in der Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz Kirchenasyl als Christenpflicht: Pfarrer Gottfried Martens (r.) mit dem iranischen Flüchtling Reza in der Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz
Kirchenasyl als Christenpflicht: Pfarrer Gottfried Martens (r.) mit dem iranischen Flüchtling Reza in der Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz
Quelle: Foto: Martin U. K . Lengemann
Ein Berliner Pfarrer steht dazu, dass er christlichen Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt – obwohl der Staat die Praxis erschweren will. Er findet: Täte er das nicht, „wäre ich kein guter Christ“.

Die iranische Botschaft weiß längst, dass Pfarrer Gottfried Martens in seinem Gemeindehaus persische Landsleute im Kirchenasyl beherbergt. Schließlich hat er schon Mahnwachen abgehalten im Berliner Botschaftsviertel für inhaftierte Christen im Iran. An seine Tür geklopft hat bislang noch niemand von offizieller Seite.

Dennoch hat Martens den Besprechungsraum in der ohnehin schmucklosen Kirche im Berliner Stadtteil Steglitz bewusst neutral gehalten. Eine Kohlezeichnung von Jesus mit Dornenkranz auf dem Haupt. In einer Ecke lehnt ein Vortragekreuz an einem Holzstab, das Ministranten vor der Messe in die Kirche bringen. Kein Hinweis darauf, dass hier Flüchtlinge wohnen. „Die Tür ist offen, natürlich würden wir hier jeden hineinlassen“, sagt Martens, obwohl er weiß, dass er sich damit am Rande der Legalität bewegt.

Gegenüber vom Besprechungsraum gibt es ein kleines Zimmerchen, in dem zwei Stockbetten stehen. Weiter hinten im Kirchenschiff auf der Empore liegen Matratzen. Sechs Flüchtlinge aus Afghanistan und dem Iran leben derzeit in der evangelisch-lutherischen Dreieinigkeitskirche. Alle sind Christen; einige von ihnen hat Martens selbst getauft. Und alle sind von Dublin-Abschiebungen bedroht. Sie sollen wieder in das Land gehen, in dem sie als Erstes europäischen Boden betreten haben und das für ihr Asylverfahren zuständig ist.

Die Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz
Die Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz
Quelle: Foto: Martin U. K . Lengemann

Doch Martens steht zu dem, was er tut: „Die Dublin-Verordnung geht davon aus, dass die Behandlung von Flüchtlingen in allen EU-Ländern den gleichen Standards entspricht“, sagt Martens. Für ihn eine „realitätsferne Fiktion“. In Bulgarien gebe es Fälle von Folter, in Ungarn Abschiebung ins Gefängnis, und in Norwegen sei etwa der Übertritt zum christlichen Glauben kein Asylgrund – obwohl Christen in vielen muslimischen Ländern massiver Verfolgung ausgesetzt sind.

Kirchenasyl-Praxis soll erschwert werden

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), selbst Protestant, hat die Kirchen gerügt und ihre Praxis sogar mit der Scharia, der laut Islam über weltlichen Gesetzen stehenden Rechtsordnung, verglichen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) will den Kirchen die Praxis nun erschweren und prüft derzeit, ob es Flüchtlinge, die dort beherbergt sind, als untergetaucht betrachtet. „Früher wurden Personen ins Kirchenasyl aufgenommen, denen die Abschiebung in ihr Herkunftsland drohte“, sagt eine Sprecherin des Bundesamtes. „Nun sind mehrheitlich Dublin-Fälle unter den Kirchenasylen.“

Diesen Personen drohe nach einer negativen Entscheidung ihres Antrags jedoch nicht die Abschiebung in ihr Herkunftsland. Sie sollen lediglich in den für ihren Fall zuständigen (sicheren) EU-Staat überstellt werden. Sinn und Zweck des Kirchenasyls könne es nicht sein, „Kritik am Dublin-System zu üben und europarechtliche Vorgaben zu unterlaufen“, heißt es aus dem BAMF.

Martens aber sieht es als christliche Pflicht, seinen Glaubensbrüdern zu helfen. „Seinen“ Flüchtlingen versucht Pfarrer Martens derzeit ein Asylverfahren in Deutschland zu ermöglichen, indem er ihnen für sechs Monate Obdach bietet. Dann ist nach bisheriger Rechtslage die Frist abgelaufen, innerhalb derer die deutschen Behörden die Flüchtlinge ins Erstaufnahmeland zurückbringen können. Das könnte sich schon morgen ändern.

Das Bundesamt für Migration prüft derzeit, ob die Betroffenen als „flüchtig“ einzustufen sind. Bei flüchtigen Personen beträgt die Frist, innerhalb derer sie ins Erstaufnahmeland zurückgebracht werden können, nach den EU-Regeln 18 Monate. Somit müssten die Gemeinden die Ausreisepflichtigen künftig bis zu eineinhalb Jahre aufnehmen.

Der Islam gefiel Reza schon früh nicht

Reza hofft, dass es noch zwei Wochen dauert, bis die neue Regel gilt. Dann hat er es geschafft, und ihm steht ein Asylverfahren in Deutschland zu. Ein, zwei erste graue Haare ziehen sich durch seinen Pony. Reza ist in Teheran geboren; wann, weiß er nicht genau. Er schätzt, dass er jetzt 37 Jahre alt ist. Rezas Vater war im Iran Richter, er stammt aus einer streng muslimischen Familie. Der Islam habe ihm schon als Junge nicht gefallen. „Ich fand ihn verlogen“, erzählt Reza, „die Leute gingen in die Moschee, beschworen ihre Frömmigkeit, und sobald sie wieder auf der Straße waren, logen und stahlen sie.“

Der iranische Flüchtling Reza sagt: „Im Nachhinein denke ich, Gott hat mich gesandt“
Der iranische Flüchtling Reza sagt: „Im Nachhinein denke ich, Gott hat mich gesandt“
Quelle: Foto: Martin U. K . Lengemann
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Beim iranischen Militär log Reza, dass er Alkohol getrunken habe und daher nicht beten könne. Wer zu viel getrunken hat, darf 40 Tage lang nicht beten, sagt der Koran. Reza arbeitete in der Automobilindustrie und legte sich mit seinen Chefs an, die ein korruptes Geschäft machen wollten. Der angehende Ingenieur sträubte sich und wanderte ins Gefängnis. „Nach meiner Entlassung war mir klar, dass ich in der iranischen Gesellschaft keinen Fuß mehr auf den Boden bekomme“, sagt er. Es herrsche eine Willkürjustiz im Iran. Eine Fortsetzung des Studiums etwa sollte ihm verwehrt bleiben. Also ging Reza über die Türkei nach Griechenland, Norwegen und Dänemark. Vor elf Jahren war das. Jetzt lebt er seit fünfeinhalb Monaten im Berliner Kirchenasyl.

Christentum heißt für mich Freiheit
Reza, Christ aus dem Iran

Es gibt keine Dusche im Gemeindehaus, die Unterbringung ist provisorisch. Reza benutzt das Waschbecken für die Körperpflege, immerhin ist das Wasser warm. Beklagt hat sich noch nie jemand. Besser als in der Kälte zu schlafen ist es allemal. Warum ausgerechnet Deutschland? „Es war nicht geplant hierherzukommen“, sagt Reza und lächelt. „Im Nachhinein denke ich, Gott hat mich gesandt.“

Vom christlichen Glauben habe er sich schon immer angezogen gefühlt, sagt Reza. „Christentum heißt für mich Freiheit.“ Im Iran besuchte er eine Hauskirche der stark wachsenden christlichen Untergrundbewegung. „Da haben wir gesungen beim Beten und waren fröhlich“, erzählt Reza. „Das war ein ganz anderes Gefühl als in der Moschee, wo man sich theatralisch auf den Boden wirft beim Beten.“

Chancen auf Asyl stehen gut

Es klopft an der Tür. Vorm Gemeindehaus steht eine junge Iranerin, die ihren Landsleuten Pide-Brot vom Türken, Tomaten und Oliven bringen will. „Das ist nett von dir“, sagt Martens und weist sie nach hinten ins Kirchenschiff, wo ein paar Leute an einem Tisch sitzen. „Es geht uns nicht darum, den Staat zu bekämpfen“, betont Martens. „Wir wollen das Leben unserer Mitmenschen schützen.“

Und da soll ich zugucken, dass die Menschen abgeschoben werden in inhumane Bedingungen, noch dazu Glaubensbrüder? Das ist zu viel verlangt
Gottfried Martens, Berliner Pfarrer

Eine Willkommenskultur werde schließlich von politischer Seite gefordert. „Und da soll ich zugucken, dass die Menschen abgeschoben werden in inhumane Bedingungen, noch dazu Glaubensbrüder? Das ist zu viel verlangt.“ Wenn Reza zurück nach Norwegen überstellt würde, käme er ruckzuck zurück in den Iran. Dort würde ihm Gefängnis drohen.

Martens versteht die Forderung des Innenministers nicht. „Es ist das erste Mal, dass er sich offen mit der Kirche anlegt“, sagt der Pfarrer mit Blick auf de Maizière. Seine Kirchenasylbewerber betreut er oft selbst als Seelsorger. „Ich kann diese Menschen nicht guten Gewissens ins Gefängnis schicken“, sagt Martens. „Dann wäre ich kein guter Christ.“ Ganz im Gegenteil versteht Martens sein Engagement für die Flüchtlinge als Hilfe für den Staat. „Jede Gesetzgebung hat Lücken, die die Zivilgesellschaft füllen muss.“

Einige Hundert Asylbewerber finden derzeit in deutschen Kirchen Unterschlupf. Und sie haben gute Chancen, ihrer Abschiebung zu entgehen. In der Vergangenheit endeten 95 Prozent dieser Fälle mit der Gewährung eines dauerhaften Aufenthaltsrechts in Deutschland.

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